Erklärung der Gemeindegremien
Liebe Gemeinde,
so geht es nicht weiter!
Mit der Kirche darf es so auch nicht weitergehen. Sie erfüllt in diesen Tagen in Köln nicht ihren Auftrag. Anstatt das Evangelium zu verkünden, ist sie mit sich selbst beschäftigt und verliert, weil sie Verbrechen in ihrer Mitte nicht anerkennt, was sie am meisten braucht: Vertrauen.
Auf tragisch-dramatische Weise findet die Kölner Kirche seit elf Jahren keinen glaubwürdigen Weg, den systemischen Machtmissbrauch in ihrer Mitte anzuerkennen – „nichts geahnt“. Indem versucht wird, die Institution zu schützen, missachten die Kirchenverantwortlichen die Wahrheit, die allein frei machen könnte. So verlieren wir die Menschen. Gerade in Tagen der Verunsicherung durch eine Pandemie, in der die klassischen Stärken der Seelsorge – wie Orientierung und Ermutigung – so dringend benötigt würden, wird im Erzbistum Köln in einem beispiellosen Prozess zögerlicher Verweigerung von Transparenz das Grundkapital jeglicher kirchlichen Arbeit verspielt: Glaubwürdigkeit.
Weil das Vertrauen gleichsam im Wochenrhythmus von medialer Enthüllung und interner Verschwiegenheit oder unhaltbaren Äußerungen erschüttert wird, ist die Rede von Augenhöhe, Beteiligung und Transparenz zur Leerformel geworden. Bis dato ist offiziell jenseits misslungener Umschuldungsversuche kaum ein Wille zu unumwundener Anerkennung von Fehlverhalten und Vertuschung spürbar. Von Bußgesinnung, die dem Evangelium entspräche, oder Umkehr (das hieße Veränderung!) ganz zu schweigen …
Bei geltender Unschuldsvermutung wird die Zeit bis zum 18. März 2021 zunehmend belastend zumal niemand weiß, welche Anwaltskanzlei dann anstelle des Bischofs die Bühne betritt.
Hier kann es kein „weiter so“ geben. Die Kirchenverantwortlichen in Köln haben seit 2010 das Signal der „kopernikanischen Wende“ nicht hören und nicht verstehen wollen: Opfer zuerst!
In Köln geht es in dem defensiv-ängstlichen Taktieren immer noch nur um die Kirche. Das Selbstverständnis großer Teile der Kölner Hierarchie verharrt vermeintlich rechtgläubig in einem autoritären Machtgestus und vormodernen Kirchenbild. Das wird auf Gemeindeebene nur noch als völlig abgehoben (disconnected) wahrgenommen. Das öffentliche Leitungshandeln der Bistumsspitze in den letzten Monaten (Umgang mit dem anwaltlichen Gutachten beziehungsweise dem Betroffenenbeirat, Strafandrohung beziehungsweise Rücknahme derselben gegenüber der KHG und einem Pfarrer, bis hin zur Verhinderung und Verunglimpfung medialer Aufklärungsarbeit – inklusive eines nicht hinnehmbaren Nazivergleichs…) offenbart den Untergang einer Ära.
Ein in Köln Jahrzehnte gepflegtes System, das in orthodoxer Kirchlichkeit selbstgerecht jeglichen Diskurs ausgrenzt oder verweigert, ist nicht mehr Kirche nach den Standards des II. Vaticanum. Wenn Formen Partizipation wie beim Zukunftsweg zur Farce degradiert werden, wird „das Band der Gemeinschaft“ von Bischof und Gemeinde ins Gegenteil verkehrt. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass die schärfste Kritik am sicher verbesserungswürdigen „Synodalen Weg“ aus dem Bistum kommt, in dem nicht wirklich nach Formen synodaler Beratung und Beteiligung gesucht wird. Der Kölner Kirchenkurs erscheint nicht nur weltfremd, sondern er ist kirchenfremd. Im Erzbistum werden Grundgedanken der Kirche in der Welt von heute konterkariert. „Wer dem Konzil nicht folgt, ist nicht in der Kirche“ – so Papst Franziskus programmatisch und lapidar in seiner Ansprache am 30. Januar 2021.
Mit allen Einschränkungen und Schwierigkeiten (er-)leben wir Kirche an Sankt Peter anders. Die vorurteilsfreie Offenheit für die Kultur(en) der Gegenwart vermittelt zuweilen durch ihre Fremdprophetie dem Glaubensleben an der Kunst-Station neue Relevanz. Auf der Grundlage von Schrift und Tradition und in ignatianisch-jesuitischer Spiritualität manifestiert sich ein Wandel zu einer christuszentrierten und christenzentrierten Kirche in Absetzung von einer priesterzentrierten Hierarchie. Solche Ansätze machen Mut, auch im 21. Jahrhundert auf der Höhe der Zeit, verantwortlich Kirche zu sein, die dem klerikalen Ghetto entflieht und innovativ Räume der Subsidiarität und Freiheit eröffnet. Wenn das altkirchliche Axiom gilt, dass Kirche da ist, wo der Bischof ist, dann hat die Gemeinde von Sankt Peter nicht das Empfinden, dass wir uns von der Kirche entfernen. Der Erzbischof fehlt. Nicht die Kritiker oder die Gemeinde sind in die Irre gegangen, sondern die Kölner Kirchenleitung ist dabei, die Kirche zu verraten und das Volk Gottes, sofern es nicht schon gegangen ist, zu verlassen.
Unter keinen Umständen darf es so weitergehen. Um des Evangeliums willen muss Verantwortung übernommen werden, vom Erzbischof, aber auch von der Ortskirche – nach Möglichkeit schon vor dem 18. März. Durchaus im Geist und der Tradition des ersten Jesuiten in Köln, dem hl. Petrus Canisius (1521 – 1597), soll Sankt Peter mit dem künstlerischen Profil ein innovativer Ort glaubwürdiger Pastoral in Köln sein. Die Gemeinde tritt ein für eine nicht nur geistliche Umkehr, die Veränderung zeitigen muss: Die Kirche braucht eine klar umschriebene Begrenzung „klerikaler“ Macht und Machtverzicht.
Wegen erwiesener Unfähigkeit zur Selbstreform erbitten wir für das Erzbistum eine externe Begutachtung. Diese Prüfung sollte dringend über eine Apostolische Visitation von Bischöfen – wie Maria 2.0 sie fordert – hinausgehen: Es müssen Laien und Betroffene des entsetzlichen Missbrauchs mit in die Verantwortung.
Petrus Canisius sprach zu seiner Zeit von der schwer zu ertragenden kirchlichen Schlafmützigkeit („dormitania episcoporum“) und kritisierte unumwunden den damaligen Kölner Erzbischof und einen reform-unwilligen beziehungsweise – unfähigen Kirchenkurs. „Ayudar las almas – Menschen zu helfen“, ist das „sehr eigentliche Ziel“ (Ignatius) und der konkrete Auftrag der Kölner Kunst-Station Sankt Peter auch in der aktuellen Krise. Seelsorge aus geistlicher Erfahrung begründet die Freiheit und Gebundenheit jesuitischer Kirchlichkeit, die aus Loyalität in Freimut auch Kritik übt. Darauf sollen sich die Menschen und die Kirche von Köln verlassen dürfen.
Ihr Pater,
angesichts der Dringlichkeit der Situation namentlich zusammen mit allen in den verantwortlichen Gemeindegremien
(Pfarrgemeinderat, Vermögensverwaltung, Kunst und Musik):
Andreas Bell, Mareike Fürtig, Ursula Gerlach, Heinz Greuling, Stephan Kessler SJ, Frederic Kriwet, Remo Laschet, Renate Sartor, Gero Schlesinger, Guido Schlimbach, Marianne Schwieren, Maria Steffens, Max Stottrop, Dominik Susteck, Lilly Ziegler
If we merged mercy with might,
and might with right,
then love becomes our legacy
and change our children’s birthright.
Wenn wir Gnade mit Recht verbinden,
und Recht mit Gnade,
dann wird Liebe zu unserem Vermächtnis
und Veränderung zum Rechtstitel unserer Kinder.
Amanda Gorman, The Hill We Climb (Januar 2021)
Übersetzung StK